Die Cloud ist keine Wolke – Chancen und Grenzen bildreicher IT-Sprache

IT ist ein blumiges Terrain. Paradoxerweise. Das liegt vor allem daran, dass IT ein ziemlich dröges Terrain ist. Eine sehr spezielle Wissenschaft, deren Anhänger:innen gern als Nerds tituliert werden. Superspannend für die besagten Nerds, aber nicht gerade allgemein verständlich. Aus dieser Kluft resultiert eine typische Berufswunsch-Angaben in der Branche. Sie kennen Sie bestimmt auch: „Ich möchte die Brücke zwischen Business und IT bilden.“

Aus dieser Kluft entspringt auch der Bedarf an Vergleichen und Metaphern, den Werkzeugen der Brückenbauer. Erinnern Sie sich an Ihre Schulzeit: Sprachlich erkennen Sie einen Vergleich daran, dass zwei Dinge mit „wie“ verglichen werden, während bei einer Metapher ein Ausdruck einen anderen ersetzt. Beispiel: Ein Data Warehouse ist wie ein Lager für vorbereitete Data Cubes. „Data Warehouse = Lager“ ist hier ein Vergleich, „Data Cubes = für die Analyse vorbereitete Datensätze“ ist eine Metapher. Denn Daten sind nicht würfelförmig. [1]

Es erscheint nahezu unmöglich, „dem Business“ die komplexen Konzepte der Informationstechnologie ohne solche Sprachbilder nahezubringen. Sie sind es, die eine Sprache schaffen, in der Business und IT überhaupt miteinander reden können. Und so sprießen überall Bilder, vom unscheinbaren Mauerblümchen wie dem Schichtenmodell (Infrastruktur, Plattform, Anwendung mit ihren jeweiligen Teil-„Schichten“) über prächtige Stauden wie Portale (webbasierte Anwendungen, die einen Einstieg zu weiteren Informationen und Diensten bieten) bis hin zu seltenen exotischen Riesenblumen, die nur wenige Menschen je gesehen haben, wie der Cloud.

Es wäre spannend, solchen Metaphern intensiver nachzugehen. Jemand erfindet sie, und so manche davon setzen sich am Ende überall durch. Schade, dass wir die gescheiterten Wortschöpfungen nicht kennen! Das Schichtenmodell könnte auch Baumkuchenmodell heißen oder Zwiebelprinzip oder Stratigraphie [2] – heißt es aber nicht. Statt Portal könnten wir auch Servicepoint sagen – so nennt die Bahn ihr Pendant in den deutschen Bahnhöfen. Ein prächtiges Portal, das wir gesetzten Schrittes durchschreiten, weckt bessere Assoziationen.

Interessant finde ich den Data Lake. In meiner subjektiven Erinnerung gab es zuerst das Konzept des Data Mining. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass die Gesamtmenge an Daten eines Unternehmens versteckte Schätze – Diamanten? – enthält, die es zu finden gilt. Offenbar mit Bergbau-Methoden: Mining. Sofort steigen vor meinem geistigen Auge Bilder eines Diamantbergwerks auf. Dort zerkleinern Maschinen das gesamte Gesteinsmaterial und befördern es an die Erdoberfläche, wo es nach den seltenen Edelsteinen durchsucht wird. Nachdem die Diamanten aussortiert sind, bleibt das zerkleinerte Gestein übrig, das auf Halden landet. Oder in Abraum-Deponien. Das sind keine schönen Orte. Außerdem hat dieses Bergbau-Bild eine weitere Schwäche: Riesige Mengen von Gesteinsmaterial müssen durchsucht werden, um eine sehr kleine Menge Diamanten zu finden.

Vielleicht sahen das auch die Erfinder des Begriffs Data Lake so. Um ihr Konzept und Produkt zu verkaufen, suchten sie ein anderes Bild als das vom Data Mining. Sie hatten eine gute Idee, indem sie das „Schütten von Gesteinsmaterial“ durch das „Fließen von Wasser“ ersetzten. So lassen sie die Daten seither bildlich in einen großen Datensee fließen. Nicht anders, als zerkleinertes Material auf eine Halde zu schütten. Nur schöner. Die verborgenen Schätze im See sind keine Diamanten, sondern vielleicht schöne tropische Fische, die im türkisfarbenen Wasser schweben. Angenehmer Nebeneffekt: Es gibt viel mehr Fische in einem See als Diamanten im Gestein. Und alles ist flüssig und damit flexibel und gut handhabbar. Die Erfinder grüßen wohl herzlich aus einem gediegenen Lakeside Resort …

Diese Beispiele zeigen, dass wir in der IT nur schlecht ohne Metaphern auskommen, weil die Konzepte furchtbar abstrakt sind. Dabei gibt es zwei Knackpunkte:

  • Die Kraft des Bildes. Die Auswahl des Bildes ist von großer Bedeutung. Wir wissen zwar alle, dass Vergleiche hinken, aber das Kopfkino ist einfach zu schön. Dann reißt es uns mit, und wir gehen mit den Analogien zu weit über das hinaus, was Grundlage für den Vergleich war. Oft geht das gut, manchmal führt es uns in die Irre.
  • Die Unschärfe des Begriffs. Die Bilder verleiten uns zu denken, wir hätten ein Konzept verstanden – und müssten uns nicht noch lange mit Definitionen aufhalten. So passiert es leicht, dass wir aneinander vorbeireden, weil jede:r sich zu einem Bild etwas Individuelles vorstellt. War Ihr erster Gedanke bei (Data) Mining ein Diamantbergwerk? Oder haben Sie sie sich einen engen, dunklen Stollen vorgestellt? Oder weite Mondlandschaften wie im Braunkohle-Tagebau?
    Machen Sie sich den Spaß und googlen Sie eine IT-Metapher, zum Beispiel Cloud Computing. Sie werden verschiedene Definitionen finden, die zwar einen gemeinsamen Kern, aber auch merkliche Unterschiede aufweisen. So sprechen zwar alle von der Cloud, aber es wäre vermessen zu glauben, dass alle eine gemeinsame Vorstellung davon haben.

In diesem Sinne: Pflegen Sie Ihren Datensee, damit er nicht zu einem Datensumpf verkommt. (Ich habe das nicht erfunden, es ist ein feststehender Begriff!) Sonst entsteigt ihm am Ende noch das Ding aus dem Sumpf – und das wäre bekanntlich der Horror!

Erkenntnis zum Mitnehmen: Bilder sind gut, um komplizierte Sachverhalte verständlich zu machen. Begegnen Sie ihnen mit Vorsicht, weil Bilder sehr individuell interpretiert werden. Ein Bild ist ein sehr praktisches und unkompliziertes „Codewort“ für einen Sachverhalt, sobald Sie sich über eine gemeinsame Definition verständigt haben. (cdf)

[1] Ich nutze hier die Worte Vergleich, Bild, Metapher weitgehend synonym, obwohl das sprachwissenschaftlich nicht korrekt ist. Sprachliche Bilder in der IT sind ein weites Feld mit überraschenden Wendungen. Für meine Zwecke hier ist die Unterscheidung zwischen Vergleichen, Bildern und Metaphern eher unbedeutend.

[2] Ein geologischer Fachbegriff für „Schichtenkunde“

Schreibe einen Kommentar